Der Schreck sitzt mir noch in den Knochen

Kennst du das Gefühl, wenn dich ein Schreck so richtig durchfährt – und du Stunden oder sogar Tage später merkst, dass dein Körper noch immer angespannt ist?
Ein Sturz, ein Unfall, eine plötzliche Nachricht oder einfach ein Moment, der dich kalt erwischt – manchmal reagiert unser Körper so intensiv, dass sich die Spannung tief festsetzt.

Über ein Leben hinweg sammeln wir vielleicht einige, viele dieser Erschreckungen – vermeintlich kleine, aber auch größere. Diese Schreckmomente sind dabei vielfältiger Natur: Todesfälle, Missbrauch, Gewalt, Unfälle, Depression, Todesangst, heftige Diagnosen, Verluste, Ängste aller Art – sowohl physisch als auch emotional.

Wenn unser System zum Zeitpunkt des Traumas nicht vollständig anpassungsfähig ist, findet es einen Speicher dafür. Erfahrungen, die wir nicht vollständig verarbeiten können, werden im Körper und Nervensystem abgespeichert, oft als Spannung, Blockade oder Schutzmuster – ein später spürbarer „Rest“ des Traumas.

Unser Körper erinnert sich an jeden einzelnen Moment, auch wenn unser Verstand längst weitergezogen ist.

Diese Redewendung „Der Schreck sitzt mir noch in den Knochen“ ist erstaunlich treffend. Denn tatsächlich speichert unser Nervensystem Erlebnisse, die es als bedrohlich einstuft – auch dann, wenn der Moment längst vorbei ist.


Das Nervensystem – der Dirigent deines inneren Orchesters

Unser Körper funktioniert wie ein komplexes Orchester – und das Nervensystem ist der Dirigent, der alle Instrumente miteinander in Einklang bringt.
Gehirn und Rückenmark kommunizieren über Milliarden von Nervenbahnen mit jeder einzelnen Zelle, und unsere Wirbelsäule schützt diese zentrale Kommunikationsachse. Einschränkungen oder Fehlspannungen können diesen Informationsfluss stören und sich direkt auf Haltung, Bewegung und innere Balance auswirken.

Das Rückenmark ist dabei viel mehr als nur ein Kabel: Es ist eine Verlängerung des Gehirns, ein Teil unseres „Extended Mind“.
Erfahrungen und Emotionen werden nicht nur im Gehirn, sondern auch im Rückenmark verankert.
Sie beeinflussen Spannungen, Bewegungsmuster und Körperhaltung – oft unbewusst, aber körperlich spürbar.
So wird unsere Wirbelsäule zum Austragungsort dessen, was uns emotional bewegt, belastet oder zurückhält – sie trägt nicht nur unseren Körper, sondern auch unsere Geschichten, Sorgen und Ängste.


Subluxation: mehr als ein mechanisches Problem

In der Chiropraktik bezeichnet der Begriff Subluxation eine leicht verschobene oder blockierte Wirbel- oder Gelenkposition, die die Nervenfunktion beeinträchtigen kann. Sie muss nicht unbedingt Schmerzen verursachen, kann aber die Kommunikation zwischen Gehirn und Körper stören und damit Bewegung, Balance und Selbstregulation beeinflussen.

Subluxationen beginnen oft schon, sobald dein Nervensystem eine Bedrohung wahrnimmt.
Das kann ein Sturz sein – oder auch anhaltender Stress, emotionale Spannung oder innere Unsicherheit.

Das Nervensystem reagiert instinktiv mit Schutz: Muskeln spannen sich, Gelenke fixieren, Bewegungen stagnieren.
Oft passiert das nicht als sichtbare Fight-or-Flight-Reaktion, sondern als stiller Freeze-Modus – ein sogenanntes Stuck Pattern. Das ist ein eingefrorenes Schutzmuster, das ursprünglich sinnvoll war, nun aber die Bewegungs- und Selbstregulationsfähigkeit einschränkt.

So entsteht über Jahre und Jahrzehnte ein „Körperpanzer“, wie Wilhelm Reich ihn beschrieb: Muskeln und Faszien verhärten sich, alte Spannungen und emotionale Blockaden werden gespeichert, zunächst schützend, langfristig aber hinderlich für Beweglichkeit, Energiefluss und Lebensfreude.


Den Schutzmechanismus respektieren – statt manipulieren

Die angesammelten Spannungen, der „Körperpanzer“ oder die Subluxationen sind nicht einfach nur ein mechanisches Problem, das man „wegdrücken“ oder erzwingen könnte. Sie sind Ausdruck eines Schutzmechanismus, den der Körper über Jahre oder Jahrzehnte aufgebaut hat, um sich vor weiteren Verletzungen oder emotionalem Stress zu schützen.

Es ist daher nicht sinnvoll, diesen Schutzmechanismus brutal zu manipulieren – das kann den Körper überfordern oder neue Spannungen erzeugen.

Die Chiropraktik arbeitet stattdessen unterstützend und behutsam:

  • Sie hilft dem Körper, alte Muster wahrzunehmen.

  • Sie ermöglicht, dass der „Körperpanzer“ nach und nach selbst gelöst wird, wenn der Körper merkt, dass Sicherheit besteht.

  • Sie unterstützt die Verarbeitung von Verletzungen und Stress, sodass Heilung und Selbstregulation wieder möglich werden.

Auf diese Weise wird der Körper nicht weiter gezwungen, zu kompensieren, sondern bekommt die Chance, wieder in natürliche Beweglichkeit, Leichtigkeit und Flow zurückzufinden.


Diese Betrachtungsweise findet sich in ähnlicher Form auch in vielen anderen Heilmethoden, wie zum Beispiel der Akupunktur, wo ebenfalls die Idee verfolgt wird, dass energetische oder körperliche Blockaden gelöst werden müssen, um Heilung und Balance zu ermöglichen.

Ein besonders anschauliches Modell liefern die Queros aus Peru: Sie arbeiten mit einem Schema aus leichter und schwerer Energie.

  • Schwere Energie entspricht Blockierung, Stagnation und Spannungen – vergleichbar mit eingefrorenen Schutzmustern.

  • Leichte Energie steht für Flow, Beweglichkeit und Leichtigkeit – der Zustand, den Körper und Nervensystem nach Auflösung der Blockaden wieder erreichen können.


Die Schutz-Kaskade

  1. Wahrgenommene Bedrohung → Das Nervensystem erkennt Gefahr und aktiviert Schutz.

  2. Freeze / Stuck Pattern → Der Körper verharrt in einer subtilen, aber anhaltenden Spannung.

  3. Dysafferentation → Veränderte Sinnesrückmeldungen halten das Schutzprogramm aktiv.

  4. Persistenz → Ohne neue, sichere Informationen bleibt das Muster bestehen.

  5. Bessere Information → Bewegung, Berührung und Sicherheit ermöglichen Heilung und Reorganisation.

Durch gezielte chiropraktische Impulse und sanfte Bewegungsreize kann der Körper die Schutzmuster erkennen, lösen und wieder in den Flow zurückfinden, sodass Beweglichkeit, Leichtigkeit und innere Balance zurückkehren.


Der Körper erinnert sich – und darf auch wieder vergessen

Unser Körper ist unglaublich intelligent. Er speichert Erfahrungen, um uns zu schützen – aber manchmal darf er auch lernen, dass die Gefahr vorbei ist. Chiropraktik kann genau diesen Prozess begleiten: behutsam, respektvoll und im richtigen Tempo für dein System.